Verkehrswende-Rechner berechnet CO2-Fußabdruck je Stadt und Verlagerungspotential
Berlin/Bonn, 06.11.2017, Beginn der 23. Klimakonferenz #COP23: Den ÖPNV ausbauen, dem Radverkehr Platz machen, auf E-Autos hoffen? In keinem Politikbereich wird in Sachen Klimaschutz emotionaler diskutiert als im Verkehr. Die Initiative Clevere Städte stellt heute den kostenlosen Verkehrswende-Rechner ins Netz, um zu versachlichen und die politische Handlungslücke messbar zu machen. Für jede deutsche Stadt lässt sich errechnen, wie viel CO2 ausgestoßen und eingespart werden müsste. Damit wird der CO2-Ausstoß pro Einwohner und Jahr zwischen den Städten vergleichbar, Verlagerungsziele lassen sich schnell in CO2 berechnen.
Die CO2-Reduktion um 40% im Verkehr hat die Bundesregierung vor Jahren beschlossen. Tatsächlich haben die verkehrsbezogenen CO2-Emissionen in Deutschland in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Die Klimakonferenz COP23 in Bonn macht deutlich, dass für das 1,5-Grad-Ziels von Paris tatkräftiges politisches Handeln im Verkehr erforderlich ist, um Folgekatastrophen zu mindern. Der Verkehrswende-Rechner liefert die Fakten dazu:
Pro Kopf liegen in München die CO2-Emissionen bei 1,4 Tonnen im Jahr im Verkehrssektor, in Saarbrücken bei 2,2 Tonnen. Als ganze Stadt stößt Berlin mit 5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr am meisten "heiße Luft" aus, gefolgt von Hamburg mit 2,5 Millionen und München mit 1,9 Millionen Tonnen CO2. Weitere Daten finden Sie in den Grafiken CO2-Ausstoß pro Kopf und CO2-Ausstoß pro Stadt bzw. in der vollständigen Liste über alle Landeshauptstädte in Deutschland.
Um die 40% Reduktion zu erreichen, müssten die Pkw-Alleine-Fahrer 50% ihrer Fahrten zukünftig mit dem Rad, mit der Kombination Fahrrad und ÖPNV oder als Mitfahrer zurücklegen. Die Politik muss mit Nachdruck für den Ausbau der Rad- und ÖPNV-Infrastruktur sorgen oder notfalls mit Zwangsmaßnahmen nachhelfen.
„Wir stellen den Verkehrswende-Rechner online, damit die Bürger ihren Politikern deren Untätigkeit im Klimaschutz vorrechnen können. Die Verkehrswende Richtung Radverkehr und ÖPNV ist machbar und muss entschieden werden, dann das naive Hoffen auf die Elektromobilität oder die Einsicht der Bürger funktioniert nicht“, sagt Heinrich Strößenreuther, Verkehrsexperte und Sprecher der Initiative Clevere Städte.
Der Verkehrswende-Rechner ermöglicht die schnelle Ermittlung des CO2-Ausstoß pro Stadt und die Ermittlung von Maßnahmen, um 40% der Emissionen einzusparen. Gibt man die Einwohnerzahl und die Anteile von Fuß-, Rad-, ÖPNV und Autoverkehr in den Verkehrsrechner ein, wird per Knopfdruck der Klimagasausstoß pro Einwohner und Jahr im Verkehr errechnet. Klickt der Nutzer die Verlagerungsmaßnahmen durch, zeigt die Online-Ökobilanz sofort, ob das 40%-Einsparziel erreicht wird.
Die Idee kam mir nach meinem Klimaschutz-Gutachten für den Verkehrsbereich der Stadt Hamburg von 2010. Vereinfachend nutzt der Verkehrswende-Rechner bundesweite Durchschnittswerte für Mobilität, Entfernungen und CO2-Ausstoß. Er rechnet mit den Grundrechenarten und lädt ein, konkret zu werden. Programmiert wurde er von Erik Lohmann unter Mitarbeit von Steffen Lohrey.
Wussten Sie, dass jeder Deutsche pro Tag 3,3 Wege zurücklegt? Dass ein Alleine-Fahrer im Auto 200 Gramm CO2 pro Kilometer auf die Wage bringt? Dass jeder Mitfahrer für lediglich weitere 11 Gramm sorgt, aber der Fahrgast in Bus und Bahn mit 73 Gramm bei weitem noch keine Mobilität zum ökologischen Nulltarif nutzt? Dass für den Ausbau des ÖPNV schnell zehn und mehr Jahre vergehen, dass aber der massive Ausbau des Radverkehrs schnell und preiswert machbar ist? Dass noch mehr Autofahrer ihren Wagen stehen lassen müssen, wenn ausschließlich auf den ÖPNV verlagert werden soll?
Langwierige, teure und komplizierte Klimaschutzgutachten sind für eine erste schnelle Abschätzung nicht notwendig. Mathematisch zeigt der Verkehrswende-Rechner, dass fast immer 50% der Autofahrer zum Beifahrer oder Mitfahrer im ÖPNV gemacht oder aufs Fahrrad gelockt werden müssen. Damit lässt sich die anvisierte Reduktion der Klimagase und der katastrophale Klimawandel noch vermeiden.
Bundesweit fahren zur Zeit nur 0,1% aller Autos mit Elektro-Antrieb: Auf mehr Auto-Elektromobilität zu warten, ist deshalb keine ethisch vertretbare Position, sondere eine politische Kür-Option. Die Politik muss für die Verkehrswende schnellst möglicher Radversinfrastruktur ausbauen, Fahrgemeinschaften und Per-Anhalter-Fahren propagieren und langfristigen ÖPNV-Ausbaus einleiten.
Bis zu 15 Jahre kann es dauern, bis mehr Züge fahren. Ergänzend ist das sehr kostspielig: Schon heute gibt Berlin 290 Euro pro Einwohner und Jahr für den ÖPNV aus, aber nur 3,80 Euro für den Radverkehr.
Mit Blick auf das nächste Jahrzehnt Verkehrspolitik und dem Ruf nach intelligenten Verkehrskonzepten werden Bürgermeister und Politikerinnen nicht am Radverkehr und dem Ausbau des Ride-Sharings vorbei kommen. Das Berliner Radverkehrsgesetz zeigt, dass innerhalb von 10 Jahren jede Stadt mit dem Bau sicherer, angemessener Radwege den Radverkehr verdoppeln kann. Auch das Personenbeförderungsgesetz sollte das digitale Per-Anhalter-Fahren fördern, ohne Privat-Taxis a la Uber Tür und Tor zu öffnen: Diese machen Autofahren nur wieder billig und locken zum klimaschädlichen Autofahren.
Unser kostenloser Verkehrswende-Rechner verschafft Klarheit per Klick, verdeutlicht simpel und für jeden verständlich den nötigen „Veränderungsdruck“ und dient als Argumentationshilfe oder zur Weiterbildung. Nutzen Sie diese Beta-Version gerne oder helfen Sie mit bei der Weiterentwicklung und Verbesserung dieser open-source-Software.
Anbei der Verkehrswende-Rechner als Excel-Datei zum Download (Version 08 / 05.11.2017): Verkehrswende-Rechner
Ergänzend habe ich folgende Google-Sheet-Liste online gestellt, in der der vollständige Städte-Benchmark enthalten ist; es wäre schön, wenn die Verkehrswende-Engagierte für weitere Städte die Liste mit Hilfe des Verkehrswende-Rechners vervollständigen würden.
Weiterführende Links und Quellen-Angaben
- Hamburger Klimaschutz-Gutachten
- New Urban Agenda: 100 Wissenschaftler für das Berliner Radverkehrsgesetz
- Drastische Schilderung möglicher Folgen der Wetter- und Klimaüberhitzung
- Übersichtswebseite zu Extrem-Wetter-Katastrophen weltweit
- Stellungnahme von Wissenschaftlern der Verkehrswirtschaft zur Elektromobilität
- Podiumsdiskussion zum Beitrag des Radverkehrs zum Klimaschutz
- Verkehrsmittel-Anteile der Landeshauptstädte und weitere Daten zum Radverkehr
- Datengrundlage "Mobilität in Deutschland" Ergebnisbericht im Auftrag des Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Anmerkung: Der Verkehrswende-Rechner ist während eines Praktikums von Erik Lohmann, Master Nachhaltigkeitsgeographie und Master-Student Geoinformation und Visualisierung, bei der Agentur für clevere Städte entstanden; Erik danke ich herzlich für diese Arbeit, er sucht übrigens eine erste Anstellung nach dem Studium und ist per Mail erreichbar. Steffen Lohrey hat in den letzten Tagen ebenfalls mitgewirkt, um diesen Verkehrswende-Rechner heute zum Beginn der 23. Klimaschutz-Konferenz über die Umsetzung des 1,5-Grad-Ziels von Paris online stellen zu können: Danke Steffen. Ich danke ebenfalls Daniel Faller für die kostenlosen Nutzung seiner tollen Grafik.