Holland ist eine Fahrrad-Stadt

Wenn der Verkehrslärm nicht von Autos stammt, sondern von Fahrrad-Klingeln – dann ist man zum Beispiel in Amsterdam. Der Bericht über eine Exkursion inkl. Facebook-Foto-Galerie ..

Schon bei der Anreise mit dem Zug fallen mir die großen Fahrrad-Abstellplätze an den Bahnhöfen auf. Mich beschleicht das Gefühl, dass die Niederländische Eisenbahn mitgedacht hat. Tatsächlich fahren 47% der Bahn-Fahrgäste mit dem Fahrrad zum Bahnhof, nach der Fahrt mit dem Zug nutzen 12% der Fahrgäste das Fahrrad, wie der @FietsProfessor (dem Fahrrad-Professor) aus Amsterdam mir mitteilt. Denn den will ich treffen.

In Amsterdam angekommen haut mich das Fahrrad-Parkhaus direkt am Bahnhof um. Mal eben 2.500 Stellplätze für Räder, alles in einer angenehmen Schräge befahrbar. Weitere Tausende von Plätzen finde ich rund um den Bahnhof, sogar auf Flößen auf der Wasserseite. Würden diese Rad-Pendler statt dessen wieder mit dem Auto fahren – man bräuchte dafür Parkplätze, die der Fläche von vier Fußball-Feldern entsprechen.

Aufs Rad geschwungen fehlen gewohnte Eindrücke – dafür gibt es neue: Die Stadt ist leise. Ab und an eine Fahrrad-Klingel, ansonsten nur das Zischen von vorbeirauschenden Rädern. Ein ungewohnte Fahrgefühl stellt sich ein: Die Radwege sind nicht nur breit genug, sie laden quasi zum Nebeneinander-Fahren ein. Die Einbahnstraßen sind in beide Richtungen geöffnet, man sieht wenig Autos in der Innenstadt – weder fahrend noch parkend.

Die Radwege-Führung scheint jedes Mal durchdacht zu sein – selten die gewohnten Dumm-Stellen aus Deutschland, wo ein Radweg plötzlich im Nichts endet. Mal macht der Weg einen längeren Bogen, aber so lange der Schwung nicht verloren geht, fahren alle gerne die paar Meter Umweg.

Auch anders als in Deutschland: Kein Mensch trägt einen Fahrrad-Helm. Ich sehe alte Menschen wesentlich häufiger auf dem Rad, genauso Kinder. Fahrrad zu fahren mit schicken Klamotten zu kombinieren, das haben die Damen und Herren in Holland auf ihren Rädern raus.

Ich treffe also den @FietsProfessor. Ich erfahre, dass er die Rad-Zug-Kombination als eigenen Verkehrsträger betrachtet – als Bike-Transit-System, dass am Ehesten von seiner Leistungsfähigkeit dem Auto Konkurrenz machen kann. Und ich bekomme hard facts erzählt: 80% aller Holländer leben im 7,5 km Radius von Bahnhöfen. Das Rad ermöglicht ein 15 mal größeres Einzugsgebiet als der Weg zu Fuß zum Zug. Der tägliche Pendler hat zwei Räder – sein eigenes und sein Bahnhofs-Fahrrad in Amsterdam. Wer nur zwei bis drei mal die Woche pendelt, vergnügt sich dann mit OV Fiets, dem holländischen Fahrrad-Verleihsystem an 400 Bahnhöfen. Der Nachfrage nach dem Bike-Transit-System wächst mit fünf Prozent pro Jahr stetig.

Zur großen Verwunderung beinhaltet das aber genau nicht die Idee der Mitnahme im Zug. Während der Hauptverkehrszeit wie selbstverständlich untersagt, bleibt es für die restliche Zeit eine Luxus-Dienstleistung. Einzelkarten zur Radmitnahme gibt es nicht, ich muss gleich eine Tages-Netzkarte lösen. Und die ist doppelt so teuer wie 24h Fahrrad-Parken oder OV Fiets ausleihen. Alle Signale stehen auf „raus mit den Rädern aus den Zügen“. Die Erklärung: Wir das Rad ein Massenverkehrsmittel, lässt sich die Mitnahme nicht skalieren. Folglich muss sie die Ausnahme bleiben. Soll Holland Vorbild sein, birgt diese Philosophie Konfliktstoff für die deutschen Radverkehrsverbände.

Nicht in Amsterdam, sondern außerhalb in Weesp übernachte ich. Nach 15 Minuten Bahnfahrt erreiche ich diese Kleinstadt mit 15.000 Einwohnern. Auch hier hat sieben Tage die Woche der Fahrrad-Verleih am Bahnhof von 6 bis 23 Uhr auf. OV Fiets-Räder sind selbstverständlich, aber auch die fast 800 Fahrrad-Ständer rund um die Gleise bzw. im Fahrrad-Parkhaus. Welches übrigens nicht von Arbeitslosen-Initiativen betrieben wird, sondern von einem ganz normalen Kleinunternehmen.

In der Kleinstadt dagegen sehe ich auch wieder deutlich mehr Autos: weniger auf der Straße als am Straßenrand parkend. Hier scheinen die Unterschiede zu Deutschland vordergründig dann nicht mehr so groß. Doc selbst auf den kleinsten Straßen sind 80 cm vom Fahrbahnrand dünne Streifen markiert, die mich mit einem kleinen Hauch mehr subjektiv gefühlter Sicherheit glücklich machen.

Tags drauf fahre ich mit dem Fahrrad-Highway wieder nach Amsterdam. Zweispurig je Richtung, Vorfahrtsregelungen zwischen sich kreuzenden Highways, querende Autofahrer müssen die Vorfahrt des Rades beachten.

Meine größte Überraschung: Ich bin nicht einmal angehupt worden. Den Autofahrer fahren respektvoll, mit Abstand, in ruhigem Tempo, schneiden nicht. Die Welt scheint in Ordnung in Holland.

Warum also, liebe Bürgermeister und Politiker in Deutschland, schneidet Ihr Euch nicht mal eine Scheibe ab, vom guten Gouda und von der erfolgreichen Fahrrad-Infrastruktur. So schwer ist das doch nicht. Einfach mal rüber fahren, ein Rad mieten, einen Kaffee trinken, den vorbei ziehenden Radlern zuschauen...

Das Bilderbuch zur Exkursion ist hier zu finden.

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